Isometrisches Training wird von vielen Physiotherapeut:innen in der frühen Rehabilitation von (Sport-) Verletzungen genutzt. Es eignet sich in dieser Phase besonders, da es keine Gelenkbewegungen beinhaltet und dennoch ein wirksamer Trainingsreiz auf Muskeln, Sehnen und Bänder gesetzt werden kann. Dabei kann isometrisches Training viel mehr und sollte daher Eingang in die Trainingsplanung eines jeden Trainierenden finden (Manske & Reiman, 2007).
Die folgende, zweiteilige Artikelserie versucht die Bandbreite an isometrischem Training darzustellen, um dadurch Therapeut:innen, Trainer:innen und Sportcoaches eine Guideline der Integration dieser Trainingsform mitzugeben. Die verschiedenen Formen dieser Trainingsmethode werden in einem ersten Teil theoretisch präsentiert. Im folgenden, zweiten Teil der Serie sollen praktische Beispiele der Implementierung aus der Praxis zur Veranschaulichung der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Methode dargestellt werden.
Es ist natürlich zu beachten, dass eine Trainingsform immer nur so gut wie ihre Anwendung und daher immer im Kontext des Trainings und der Trainierenden zu sehen ist. Eine Allgemeingültigkeit kann daher nicht gegeben werden und das eigene „Entdecken“ und theoretische Wissen sollten immer als Basis der Integration einer Trainingsform genutzt werden. Die Individualität in der Reaktion bzw. Adaption auf ein Training (Erskine et al., 2010) machen es notwendig, jenes zu individualisieren und anzupassen.
Abbildung 1: Isometrische Kontraktion des Kniestreckers nach einer Kreuzband-Rekonstruktion
Isometrisches Training und seine Wirkungen auf trainierte Strukturen
Wie bereits im vorigen Absatz angedeutet, nutzen eine große Anzahl an Therapeut:innen die Vorteile des isometrischen Trainings in frühen Stadien der Rehabilitation von verletzten und operierten Sportler:innen und Patient:innen. Dabei können wirksame Trainingsreize sehr früh gesetzt werden, da von Verletzungen betroffene Gelenke durch die Trainingsmethode geschont werden. Wenn dynamische Bewegungen aufgrund von funktionellen Einschränkungen – etwa nach einer Kreuzbandruptur und folgender Rekonstruktion – noch nicht oder nur in kleiner ROM und mit Teilbelastungen ausgeführt werden können, eignet sich isometrisches Training zum Setzen von Reizen auf atrophierte Muskeln (bspw. auf den Vastus medialis nach Kreuzbandruptur) und den Sehnen- sowie Bänderapparat. Eine exemplarische Möglichkeit wäre es für einen sich in der Rehabilitation befindlichen Trainierenden sitzend auf einem Stuhl das betroffene Bein in den Boden zu drücken und auf diese Weise den Kniestrecker zu trainieren
Isometrisches Training kann dabei zu einer besonders hohen Rekrutierung von Muskelfasern führen. Studien haben gezeigt, dass durch eine durch diese Trainingsform hervorgerufene maximale Kontraktion mehr Muskelfasern aktiviert werden können (95.2%) als in maximalen exzentrischen oder konzentrischen Kontraktionen (88.3% und 89.7%) (Babault et al., 1985). Dabei kann eine hohe Aktivierung nicht nur durch maximale Kontraktionen erzeugt werden, sondern auch durch das lange Halten einer submaximalen Kontraktion. In dieser eher extensiven Form kommt es im Verlauf der Kontraktion nach einem kurzen Abfall der Feuerrate der Motoneuronen zu einer Erhöhung jener, um die aufgewendete Kraft konstant zu halten. Des Weiteren zu einer dem Henneman Prinzip folgenden Rekrutierung immer größerer motorischer Einheiten (Henneman et al., 1965; Adam & De Luca, 1985).
Abbildung 2: Training der Außenrotatoren der Schulter mithilfe eines Therabandes. Isometrisches Training eignet sich hervorragend, wenn nur wenig Equipment vorhanden ist und als Heimprogramm für Athleten und Patienten.
Es ist jene Form des isometrischen Trainings die in vielen Fällen Eingang in die bereits nach einigen Tagen beginnende Rehabilitation von (Sport-)Verletzungen findet und dabei gute Ergebnisse - beispielsweise nach einer Operation einer Rotatorenmannschetten-Ruptur (Raschhofer et al., 2017) oder Ischalgie in Folge eines Bandscheibenvorfalls (Huber et al., 2011) - erzielt. Hinzuzufügen ist, dass besonders das isometrische Hypertrophie-Training mit langen Muskellängen Erfolg verspricht und – wenn das Ziel der Muskelaufbau ist – jenem vorzuziehen ist, welches in einer kleinen Range-of-Motion aufgeführt wird. In einem systematischen Review nahmen Probanden 0.86-1.69% (lange) vs. 0.08-0.83% (kurze Muskellänge) an Muskelmasse zu (Oranchuk et al., 2019).
Von Interesse ist dabei nicht nur der Effekt auf atrophierte Muskulatur, sondern auch jener auf Sehnen, Bändern und das Nervensystem – wie durch die mögliche hohe Aktivierung von Muskelfasern gezeigt -, welche durch die Verletzung und mögliche Ruhigstellung betroffener Region negative Adaption zu verzeichnen haben. Isometrisches Training führt beispielsweise zu erhöhter Stiffness der Sehnen (Burgess et al., 2007; Kubo et al., 2017), welche im Zusammenhang mit verbesserter sportlicher Funktion steht. Einfach vorzustellen ist dies, wenn man sich eine Sehne als dickes Gummiband vorstellt. Je steifer dieses ist, umso stärker die notwendigen Kräfte es zu verlängern und damit auch die in der Sehne gespeicherte kinetische Energie bei athletischen Bewegungen. Neue Forschungen der ETH Zürich von Passini et al. (2021) etwa zeigten, dass Träger einer Variante eines bestimmten für die Sehnen-Stiffness verantwortlichen Genes athletisch besonders leistungsfähig sind. Ihre Sehnen wiesen eine sehr hohe Anzahl an Verbindungen von Kollagenfasern auf – ein Zeichen erhöhter Steifheit.
Dabei reagieren Bindegewebsstrukturen bereits auf recht kurze Trainingseinheiten wie bei Shaw et al. (2017) oder Bohm et al. (2019) gezeigt werden konnte. In ersterer Studie reichten sechs Minuten Springseil springen aus, um die Kollagensyntheserate – in Verbindung mit Kollagensupplementation – zu erhöhen. Letztere dagegen spricht von einer Trainingsdauer von 15 Minuten, um Sehnen optimal zu trainieren. Der dahinter vermutete Mechanismus ist, dass bindegewebige Strukturen nur in den ersten Trainingsminuten Signale zur Adaption erhalten, sodass 5-10 Minuten bereits zur Setzung eines ausreichenden Reizes notwendig sind. Einen spannenden Artikel findet zu diesem Thema findet man hier.
Noch nicht ganz geklärt ist allerdings, ob isometrisches Training alleine zu einer Verbesserung der Fähigkeit von Sehnen führt, sich unter hoher Last (Kraft über 100N) und in ballistischen Bewegungen zu verlängern. Kubo et al. (2017) fanden eine Verbesserung dieser Eigenschaft von Sehnen nur in Folge eines plyometrischen, nicht aber isometrischen Trainings, welches die Ausnutzung des Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus beinhaltet. Nicht ganz ohne Grund gibt es einige weltweit bekannte Trainer – Alex Natera (Australian Football) oder Steffan Jones (Cricket), die aus eben jenen Gründen isometrisches und plyometrisches Training kombinieren. Die Kombination verspricht nicht nur eine erhöhte Sehnenstiffness, sondern auch eine verbesserte Elongationsfähigkeit der Sehnen unter hoher, schnell wirkender Last – wie beim Bodenkontaktes eines Fußes im Sprint oder beim Absprung von einem Bein – sowie eine erhöhte Stiffness der Muskulatur (Kubo et al., 2017). Ob sich durch eine der beiden Trainingsformen auch die Hysteresis der Sehnen absenken lässt, ist noch nicht klar zu sagen. Hysteresis bezeichnet den Prozess der durch die Viskoelastizität des Materials verlorenen Energie zwischen Speicherung und Freigabe jener. Einfach formuliert: je geringer der Verlust, umso höher die (sportliche) Leistungsfähigkeit der Sehne.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass isometrisches Training folgende Adaptionen im Körper bewirken kann (Vgl. Lum & Barbosa, 2019; Oranchuk et. al, 2019)
- Erhöhung isometrischer Kraft im trainierten Gelenkwinkel (+/- 15% des trainierten Winkels). Übertrag auf dynamische Bewegungen geringer. Training mit langen Muskellängen zeigt besseren Transfer.
- Hypertrophie (besonders durch isometrisches Training in langen Muskellängen)
- Verbesserung der neuromuskulären Aktivierung
- Erhöhte Stiffness der Sehnen (höhere Anzahl an Verbindungen von Kollagenfasern)
- Erhöhung Kraft und Rate der maximalen Kraftentwicklung (Rate-of-Force Development) der kontralateralen, nicht-trainierten Extremität (Cross-Transfer Effect) (Carr et al., 2019)
Isometrisches Training und seine unterschiedlichen Formen
Wie der Titel des Artikels vermuten lässt und auch wie bereits dargestellt wurde, kann isometrisches Training sehr viel mehr als nur Rehabilitation. Mithilfe einer übersichtlichen Tabelle sollen die unterschiedlichen Formen und ihre Anwendung in der Praxis dargestellt werden.
Abbildung 3.: Übersicht über Formen des isometrischen Trainings. Eigene Darstellung (adaptiert nach Mario Artukovic, https://www.instagram.com/p/COKVb6JhROx/, abgerufen am 09.08.2021). Freie Übersetzungen der Fachtermini aus dem Englischen: Nachgebende – Yielding Isometrics, Überwindene – Overcoming Isometrics.
Die unterschiedlichen, in der Tabelle dargestellten Formen lassen sich wie folgt definieren:
- Gehaltene: Mit eigenem Körpergewicht (oder sehr leichten Zusatzgewicht bspw. bei Schulterübungen) wird eine Position möglichst ruhig und korrekt über den gesamten Zeitraum gehalten.
- Nachgebende: Der Trainierende nimmt eine Startposition ein und versucht diese möglichst gut zu halten. Im Unterschied zu gehaltenen isometrischen Übungen wird er jedoch – nach einer bestimmten Zeit, abhängig vom Zusatzgewicht - der Schwerkraft nachgeben müssen und seine anfänglich eingenommene Position verlieren. Je nach Programmierung des Trainings ist dieses „Verlieren“ bis zur Ausnutzung der vollen möglichen Range-of-Motion gewünscht. In der Tabelle wird dies ersichtlich aus der Möglichkeit ein Training durchzuführen, welches pro Satz nur eine Wiederholung bis zur totalen Erschöpfung beinhaltet.
- Überwindende: Der Trainierende wird angehalten unter größtmöglicher Kraftanstrengung einen für ihn nicht zu überwindenden Widerstand zu bewegen.
Aus der Tabelle und den Definitionen wird ersichtlich, dass isometrisches Training auf dem ganzen Spektrum von Rehabilitation bis Performance-Training genutzt werden kann. Entscheidend ist dabei die korrekte Programmierung des Trainings und somit Wahl der Trainingsvariablen. Selbstverständlich gilt auch für isometrisches Training das Prinzip der steigenden Intensität bei sinkendem Trainingsvolumen – in der Tabelle sich ergebend aus Belastungsdauer („Time-under-Tension“) pro Wiederholung, den Wiederholungen pro Satz sowie Sätzen pro Trainingseinheit. Empfehlungen zum Workload pro Woche (=trainierte Sätze pro Woche * Intensität) und der Frequenz sollen explizit keine gegeben werden, da diese zu stark abhängig sind vom Trainierenden, dem gesetzten Ziel des Trainings und bei Athlet:innen Zeitpunkt im Wettkampfkalender. Es liegt daher bei der Trainer:in oder Therapeut:in, eine optimale Frequenz bzw. Workload für den Trainierenden zu wählen, um optimale Ergebnisse zu erzielen.
Der Tabelle ist hinzuzufügen, dass wenn eine Entwicklung der Rate der maximalen Kraftentwicklung (RFD) gewünscht ist, die Wiederholungen in einer ballistischen Art durchgeführt werden sollten, da diese zu jene Anpassung auf neuronaler Ebene hervorrufen, – Rekrutierung Motorneuronen und deren Feuerrate – die zur positiven Adaption in diesem Bereich beitragen. Ballistisch bezieht sich dabei auf den Versuch die eigene Kraft möglichst schnell zu entwickeln. So war der Athlet auf dem unteren Bild angewiesen, Kontakt mit dem Barren herzustellen und eine gewissen Grundspannung aufzubauen, um dann „in diesen hinein zu explodieren“. Zur Erhöhung des möglichen Transfers auf sportspezifische Bewegungen wurde diese Übung im Wechsel mit einer dynamischen Sprungübung programmiert.
Abbildung 4: Athlet bei der Durchführung eines ballistisch ausgeführten überwindenden Ausfallschritts. Bildquelle: Stephanie Zerbe (www.kuntergrau-fotografie.com), We GRIND Basketball Pro Camp (www.wegrindbb.com)
Fazit
Dieser erste Teil konnte bereits die Fülle an Möglichkeiten isometrischen Trainings zeigen. Allerdings nimmt er dennoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da es noch einige Spielarten isometrischen Trainings gibt, die hier – aufgrund ihrer eher seltenen Anwendung - keine Erwähnung gefunden haben. Das heißt nicht, dass andere Formen schlechter sind oder keine Berechtigung haben, sondern sie lediglich aus Gründen der Verständlichkeit und besseren Übersicht nicht betrachtet wurden. Im folgenden, zweiten Teil der kurzen Artikelserie sollen Beispiele aus der Praxis gegeben werden. Unter anderen finden sich Anwendungen aus der Arbeit mit Basketballer:innen, Tennisspieler:innen und der Behandlung von Meniskusproblemen wieder.