Im ersten Teil wurden interessante Spielarten des isometrischen Trainings aufgezeigt, die weit über die Rehabilitation hinausgehen. So kann isometrisches Training bis in den High-Performance Bereich für eine Vielzahl von Zielen genutzt werden. Wer sich nochmal einen Überblick über jene verschaffen will, dem ist angeraten den ersten Teil dieser Serie zu lesen, bevor er sich mit den exemplarischen Anwendungen – die in diesem Teil dargestellt werden – auseinandersetzt.
Dieser zweite Teil will vier Beispiele der Integration isometrischen Trainings geben, die im Alltag von trainierten Athleten genutzt wurden. Dabei wurden jeweils sich unterscheidene Ziele verfolgt: Prävention (Fall 1), Performance (Fall 2 und 3) und Rehabilitation (Fall 4). Die Beispiele sollen der Veranschaulichung der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Trainingsmethode geben. Letzten Endes ist es jedoch am Trainer oder Therapeut die zu nutzenden Möglichkeiten in ihrer Wirkung auszuloten und im richtigen Kontext anzuwenden.
Basketballspieler mit Patella-Spitzen-Syndrom
Ein Basketballer aus der ProB (2. Bundesliga) klagte über Schmerzen im Bereich unter der Patella. Es wurden einige isometrische Übungen als Beginn seines individuellen Warm-Ups programmiert. Die Schmerzintensität nahm daraufhin sofort ab und er konnte weitestgehend ohne Probleme trainieren. Auch wenn ein solcher Erfolg ungewöhnlich ist, kann das Einführen einiger extensiv, gehaltener isometrischen Übungen einiges hinsichtlich der Reduktion von Schmerzen bewirken. Nicht zuletzt sah man – als prominentes Beispiel - vor einiger Zeit Raphael Nadal, der nicht selten unter Knieproblematiken leidet, beim Aufwärmen die klassische Übung des Wandsitzens durchführen (Vgl. Vaegter et al., 2019).
Die in das Warm-Up integrierten Übungen waren:
1. Ausfallschritt: 30 Sekunden pro Bein, Gelenkwinkel des vorderen Beines 135 Grad
2. Wand-Sitz: 30 Sekunden, Gelenkwinkel 90 Grad
3. Reverse Nordic: 30 Sekunden, Gelenkwinkel 70 Grad
Sprungkrafttraining während eines Trainingscamps
Während eines Trainingscamps mit professionellen Basketballern wurde an jedem Morgen ein Athletiktraining durchgeführt. Damit die Basketballer nicht in ihrer Entwicklung ihrer spezifischen Basketball-Fertigkeiten durch übermäßige Müdigkeit gestört wurden, wurde das Trainingsvolumen über die gesamte Woche verteilt und damit pro Einheit gering gehalten. Zudem wurden Komplexe aus einer isometrischen und einer nachgeschalteten dynamischen Übung genutzt, die zum Einen zeiteffizient und sich zum Anderen bei fortgeschrittenen Athleten als effektiv gezeigt haben. An einem Tag wurden zudem zwei Komplexe hintereinander geschaltet (French Contrast Training), womit eine ganze Reihe von physischen Qualitäten stimuliert werden kann.
Ein Beispiel eines genutzten Komplexes war:
- Überwindender, isometrischer Lunge mit konzentrischem Vertikalsprung (2-3 Runden). Kurze Pause zwischen den Übungen von bis zu 30 Sekunden. Pause von 3-5 Minuten nach jeder Runde.
- Lunge (siehe Bild oben): maximaler Krafteinsatz des Athleten von 5-10 Sekunden pro Bein. Eine Wiederholung. Ballistische Ausführung.
- Konzentrischer Vertikalsprung auf dicker Turnmatte: ohne Vorbewegung maximaler vertikaler Sprung. 5 Wiederholungen. Nach jeder Wiederholung Pause von 10 Sekunden zur Sicherstellung maximaler Sprunghöhe.
- Gesamtes Volumen des Tages: 10-30 Sekunden ballistischer – auch explosiv-isometrisch bezeichnet (Vgl. Schlumberger & Schmidtbleicher, 2001), überwindender isometrischer Lunge pro Bein und 10-15 maximale, konzentrisch-fokussierte Vertikalsprünge.
Abbildung 5: Zusatzgewicht bewirkt ein langsames "Nachgeben" des Athleten. Dies kann - je nach Gewicht - einen starken Hypertrophiereiz auslösen.
Verbesserung Beinkraft bei Jugend-Nationalkader-Tennisspieler
Innerhalb von einigen Wochen signifikante Verbesserung der Bein- und Sprungkraft (+4cm) eines U16-Kadersspielers durch Kombination von Iso-, Plyo- und Quasi-Isometrischen Trainings. Das Quasi-Isometrische Training ist zwar eigentlich ein „dynamisches“, aber Bewegungen werden in einer sehr langsamen Geschwindigkeit ausgeführt, sodass die Bewegung „kaum“ sichtbar ist. Eine Wiederholung einer Kniebeuge dauert dann etwa 60 Sekunden (30 Sekunden exzentrisch, 30 Sekunden konzentrisch).
- Isometrisches Kreuzheben (lange Muskellängen). 6x10 Sekunden, zwischen jeder Wiederholung 20 Sekunden Pause (Cluster-Training) zur Regeneration und Erhaltung der Ausführungsqualität.
- Verschiedene plyometrische Übungen in geringem Volumen und geringer Intensität (Maximale Bodenkontakte pro Trainingseinheit: 50)
- Quasi-Isometrische Kniebeugen bilateral auf Vorderfüßen mit geschlossenen Augen. Als Ende jeder Einheit zur Verbesserung der motorischen Kontrolle und „Erfühlen“ der Spannung (konzentrische Phase)/Entspannung (exzentrische Phase) der Muskulatur. Der Athlet sollte sich in der exzentrischen Phase bewusst langsam in die Position hinein entspannen, um dann auf dem Weg nach oben eine maximale Spannung bis zum Ende der Bewegung zu produzieren. Aus der Forschung weiß man, dass Elite-Athleten im Besonderen sich in der Fähigkeit schnell zu entspannen von weniger erfolgreichen unterscheiden. Das bewusste „Erfühlen“ kann dabei helfen diese Fähigkeit anzubahnen.
Meniskusschmerzen/-probleme
Durch zwei Risse im Meniskus hervorgerufene Schmerzen konnten bei einem Athleten durch eine Kombination aus Blood-Flow-Restriction Training (BFR), isometrischen Halteübungen und einer Rotlichttherapie signifikant verbessert werden. Ebenso wurde die Funktion positiv beeinflusst. Die zusätzliche Nutzung von BFR basiert auf dem Argument der stärkeren Laktatproduktion dieser Trainingsmodalität, dem Zusammenhang von Laktat und einer Erhöhung der Kollagensynthese – sowie anderen Wachstumshormonen wie IGF-1 oder VEGF, die sich positiv auf Gewebeheilung auswirken können - im Vergleich zu einem Training gleicher Intensität ohne den Gebrauch von BFR (Thomas et al., 2018; Philp et al., 2005). Das zusätzliche angewandte Rotlicht (Photobiomodulation) ermöglicht des Weiteren eine Steigerung der Proliferation von Zellen und erhöhter Synthese von Proteinen wie auch eine Abnahme von inflammatorischen Markern (Hamblin, 2017)
- Isometrischer Ausfallschritt mit BFR auf betroffener Seite. 3 Sätze á 45-60 Sekunden, Range-of-Motion an Schmerzintensität angepasst.
- Rot-Licht-Therapie. 15 Minuten.
- Anfänglich wurde die genannte Kombination täglich, teilweise bei geringer Belastung zwei Mal pro Tag, ausgeführt. Anschließend wurde mit zunehmender Verbesserung der Funktion und Abnahme der Schmerzen das Volumen zugunster steigender Intensitäten reduziert.
Abschließende Bemerkungen: Isometrisches Training ist ein Tool in einer Werkzeugbox
Während isometrisches Training seit einiger Zeit wieder vermehrt in Trainingsalltagen von Sportlern auftaucht, sollte es – wie jede andere Trainingsmethode auch – im Lichte seiner Möglichkeiten betrachtet werden. Es ist nicht die einzige und beste Möglichkeit Athleten von Verletzungen zu heilen und/oder sie zu Höchstleistungen zu führen. Es ist aber ein möglicher Weg, der je nach Situation eingeschlagen werden kann. Zum einen lässt sich isometrisches Trainings hervorragend als zusätzliche Einheit zur Verminderung von Gelenkproblematiken mit einigen Stunden Abstand zum „Haupt-Training“ einbauen (wie im Fallbeispiel Meniskusschmerzen/-probleme geschehen). Zum anderen sind die vielen unterschiedlichen Formen des isometrischen Trainings – Gehaltene, Nachgebende, Überwindende – gut zur Entwicklung wichtiger, athletischer Fähigkeiten geeignet. Im Besonderen wenn sie mit langen Muskellängen, in spezifischen Positionen der Sportart und/oder mit dynamischen, schnellkräftigen Übungen kombiniert werden. Ebenso eignen sich isometrische, wenig-intensive Übungen als Teil des Warm-Ups optimal, da sie zu wenig Müdigkeit führen, spezifische Positionen trainieren können und Abwechslung zu der bisherigen Routine bringen können.
Am Ende ist isometrisches Training jedoch nur ein Werkzeug in der Werkzeugkiste des Trainers oder Therapeuten. Dabei ist es nicht wichtig alle Werkzeuge schlichtweg zu besitzen, sondern zu wissen, zu welchem Zeitpunkt der beste Nutzen durch Anwendung eines bestimmten Werkzeugs zu erwarten ist. Denn ansonsten verkommt jedes Werkzeug zu einem Hammer, der irgendwie auf alles raufgehauen wird. Die hohe Individualität von Schmerz- und Verletzungsgeschehen und die der Situation des Trainierenden muss am Ende immer die Auswahl des Werkzeugs bestimmen. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Werkzeugen ist daher unumgänglich, sodass diese Artikelserie eher als Starthilfe und Motivation der Beschäftigung mit dieser besonderen Trainingsform gesehen werden sollte.
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