Der Fußball ist im Wandel. Das Spiel selbst und so auch die Trainingsmethoden entwickeln sich ständig weiter. Dementsprechend ändern sich Belastungsfaktoren. Nicht alle alten Methoden sind schlecht und neue gut. Trainer:innen und Funktionsteams müssen gegenüber Veränderungen offen bleiben, um den Anschluss nicht zu verlieren.
„Wenn du deine Trainingsmethoden seit 10 Jahren nicht geändert hast, dann bist du entweder weit voraus oder weit hinten… und ich bin mir ziemlich sicher ich weiß, welche Variante zutrifft.“ – Michael Boyle
Grundsätzlich hat sich das Spiel nicht großartig verändert. Es gibt immer noch einen Ball, 2 Tore, 2 Tormhüter und 20 Feldspieler. Bis auf ein paar Regeländerungen hat sich wenig getan. Trotzdem hat sich das körperliche Anforderungsprofil der Fußballspieler stark verändert. Der Fußball ist um einiges intensiver und schneller und somit körperlicher geworden.
Die Gesamtlaufdistanz hat sich in den letzten 13 Jahren nur unwesentlich geändert. 2007 legten die Spieler im Durchschnitt 10.679 Meter pro Spiel zurück. Heutzutage laufen Fußballer im Schnitt 10.881 Meter pro Spiel. Wesentlich geändert haben sich hingegen die Laufdistanz mit hoher Geschwindigkeit (über 19,8 km/h) und die Anzahl der Sprints. Während in einem „modernen“ Fußballspiel im Durchschnitt 1.152 Meter mit hoher Geschwindigkeit zurückgelegt werden, waren es 2007 nur 890 Meter. Ein Anstieg von über 29 %. Auch die Anzahl der Sprints hat sich pro Spiel durchschnittlich von 26 Sprints auf 57 Sprints erhöht (ein Anstieg von über 83 %!).
Mehr über das athletische Anforderungsprofil von Fußballer:innen und deren Veränderung kannst du hier erfahren.
Doch warum wird der Fußball immer schneller bzw. intensiver?
Ein Grund könnte taktischer Natur sein. Viele Trainer lassen ihre Spieler hoch und aggressiv anlaufen, fordern ein schnelles und blitzartiges Umschalten nach Ballgewinn oder setzen nach einem Ballverlust (Gegenpressing) sofort nach. Die Folge – mehr zurückgelegte Meter mit hoher Geschwindigkeit.
Die zurückgelegte Distanz mit hoher Geschwindigkeit in einem Spiel scheint ein aussagekräftiger Leistungsfaktor im Fußball zu sein. Es hat sich gezeigt, dass internationale Topklasse-Spieler 28 % mehr hochintensive Läufe und 58 % mehr Sprints durchführen als professionelle Spieler auf einem niedrigeren Niveau. Außerdem absolvieren Top-Teams um 30-40 % mehr intensive Läufe als Teams im mittleren oder hinteren Feld.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Fähigkeit wiederholende und hochintensive Belastungen ausführen zu können, entscheidend ist. Aufgrund der steigenden körperlichen Anforderungen und des wissenschaftlichen Fortschrittes im Fußball, haben sich auch die Trainingsmethoden verändert bzw. angepasst.
Die vier „konditionellen Revolutionen“
Vor 40 Jahren – in den 1980er Jahren – wurde der Fußball als reine Ausdauersportart angesehen. Anderen motorischen Fähigkeiten wie Kraft oder Schnelligkeit wurde im Training nur sehr wenig Beachtung geschenkt. Die meisten Trainer glauben, dass die Schnelligkeit ausschließlich genetisch veranlagt sei und deswegen nicht trainiert werden könne. Fähigkeiten wie Koordinationsfähigkeit oder Beweglichkeit wurden in der damaligen Zeit sowieso nicht berücksichtigt.
Erste konditionelle Revolution
In den 1990er Jahren kam es zur ersten „konditionellen Revolution“ im Fußball. Luis van Gaal, der damals für Ajax Amsterdam tätig war, legte den Fokus weg von der Ausdauer, hin zum Thema Schnelligkeit. Er erkannte, dass Schnelligkeit im Fußball eine entscheidende Rolle spielt und dass die Fähigkeit schnell zu laufen auch trainiert werden kann. Van Gaal verbot seinen Trainern daraufhin isolierte Ausdauerläufe zu machen. Ausdauer wurde unter ihm nur mehr fußballspezifisch in Spielformen trainiert. Zusätzlich wurde das Schnelligkeitstraining in das Mannschaftstraining aufgenommen. Ajax wurde dadurch in den darauffolgenden 5 Jahren zum Maß der Dinge im europäischen Fußball. Viele Trainer pilgerten nach Amsterdam, um dieses damals revolutionäre Konzept zu kopieren.
Zweite konditionelle Revolution
Der Ausgangspunkt war damals 2004 die deutsche Fußballnationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann. Klinsmann übernahm die Nationalmannschaft als Cheftrainer und nahm gleichzeitig Experten im Bereich des funktionellen Krafttrainings aus den Vereinigten Staaten mit. In den USA hatte das Krafttraining – vor allem in American Football etc. – bereits einen hohen Stellenwert. Unter der Leitung von Mark Verstegen wurde das Konzept des funktionellen Krafttrainings dann auch in Deutschland und in weiterer Folge in ganz Europa etabliert. In den Folgejahren bekamen auch Fähigkeiten wie Mobilität und Agilität immer mehr an Bedeutung. Die Folge daraus war, dass der Fußball und die Spieler Schritt für Schritt athletischer wurden. Das Problem war jedoch, dass viele leistungsrelevanten Komponenten isoliert trainiert wurden. Somit wurde viel Zeit im Kraftraum und auf der Laufbahn verbracht und das eigentliche Training bliebt dabei auf der Strecke.
Dritte konditionelle Revolution
Ein guter Athlet ist noch lange kein guter Fußballspieler. Fußball spielen wird hauptsächlich durch das Spielen selbst trainiert bzw. verbessert. Athletische Komponenten können zwar die fußballerische Leistung am Feld positiv beeinflussen, aber das allein ändert nichts um automatisch ein guter Fußballer zu werden.
Und so kam es wie es kommen musste zu einer dritten „konditionellen Revolution“ – ein ganzheitlicher Trainingsansatz wurde entwickelt. Durch Vordenker wie Paco Seirul-lo, Vitor Frade oder auch Raymond Verheijen rückte das Fußballspielen wieder mehr in den Mittelpunkt, ohne dabei die athletischen Komponenten zu vernachlässigen. Leistungsrelevante Fähigkeiten sollen nach diesem Ansatz nach nicht isoliert trainiert werden, sondern als Ganzes - komplex - trainiert werden.
Dadurch soll gewährleistet sein, dass sich die fußballerische Gesamtleistung am Feld bestmöglich entwickelt. In Folge kann die Trainingszeit viel effektiver genutzt werden, ohne dabei die Spieler zu überlasten.
Vierte konditionelle Revolution
Digitalisierung und Datenanalyse. Aus diesem Trend heraus - fast alles komplex in Spielformen zu trainieren - hat sich die vierte einschneidende Veränderung im Fußball ergeben. Es wurde für die Trainer zunehmend schwieriger die Trainingsbelastung der Spieler passend zu steuern. Es ist schwer abzuschätzen wie hoch die Belastung eines einzelnen Spielers in einer Spielform ist. Außerdem rückte auch der Aspekt der Verletzungsprävention durch eine optimale Belastungssteuerung immer mehr in den Fokus. Es werden zunehmend Daten von den Spielern erhoben und analysiert, um eine optimale Entscheidung für die Trainingsgestaltung treffen zu können.
Die Digitalisierung und Datenanalyse machen also auch vor dem Fußball nicht halt. Durch den technologischen Fortschritt der letzten Jahre kann auch das Training in komplexen Spielformen immer besser gesteuert werden. Durch einen bestimmten Aufbau der Spielform oder durch bestimmte Regeln, können konditionelle Fähigkeiten (z.B.: Kraft, Schnelligkeit oder Ausdauer) individuell genau gesteuert bzw. entwickelt werden. Der Effekt kann durch Trackingsysteme oder andere softwaregestützte Hilfsmittel überprüft und angepasst werden.
Die Folge daraus ist, dass das Training zusätzlich optimiert bzw. professionalisiert werden kann. Die körperliche Entwicklung der Spieler wird verbessert und gleichzeitig wird das Verletzungsrisiko stark gesenkt. Außerdem wird der Arbeitsaufwand für den Trainer bzw. für den Trainerstab minimiert.
Auch der Amateurfußball profitiert von diesem Trend. In den letzten Jahren werden immer mehr hochwertige und gleichzeitig preiswerte Softwaresysteme entwickelt, die die Datenerhebung und Auswertung vollkommen automatisieren. Immer mehr Trainer trainieren deswegen dem heutigen Wissensstand entsprechend und erreichen dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten.
Hoffentlich erkennen bald alle Trainer:innen und Vereine diesen Trend und passen ihr Training dementsprechend an. Ansonsten wird es für einige Vereine in Zukunft schwierig werden. Denn wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit…
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