• Schnelle Suche

  • Übersichtlicher Vergleich

  • Einfache Buchung

Bild Das Belastungsprofil des Fußballs im Wandel - die vier „konditionellen Revolutionen“
Wissen und Inspiration

Das Belastungsprofil des Fußballs im Wandel - die vier „konditionellen Revolutionen“

Jürgen Pranger   •   05.02.2021

Lesezeit: 5,5 Minuten

Das athletische Anforderungsprofil im Fußball und dessen Veränderung

Der Fußball ist im Wandel. Das Spiel selbst und so auch die Trainingsmethoden entwickeln sich ständig weiter. Dementsprechend ändern sich Belastungsfaktoren. Nicht alle alten Methoden sind schlecht und neue gut. Trainer:innen und Funktionsteams müssen gegenüber Veränderungen offen bleiben, um den Anschluss nicht zu verlieren.

 

„Wenn du deine Trainingsmethoden seit 10 Jahren nicht geändert hast, dann bist du entweder weit voraus oder weit hinten… und ich bin mir ziemlich sicher ich weiß, welche Variante zutrifft.“ – Michael Boyle

Grundsätzlich hat sich das Spiel nicht großartig verändert. Es gibt immer noch einen Ball, 2 Tore, 2 Tormhüter und 20 Feldspieler. Bis auf ein paar Regeländerungen hat sich wenig getan. Trotzdem hat sich das körperliche Anforderungsprofil der Fußballspieler stark verändert. Der Fußball ist um einiges intensiver und schneller und somit körperlicher geworden.

 Die Gesamtlaufdistanz hat sich in den letzten 13 Jahren nur unwesentlich geändert. 2007 legten die Spieler im Durchschnitt 10.679 Meter pro Spiel zurück. Heutzutage laufen Fußballer im Schnitt 10.881 Meter pro Spiel. Wesentlich geändert haben sich hingegen die Laufdistanz mit hoher Geschwindigkeit (über 19,8 km/h) und die Anzahl der Sprints. Während in einem „modernen“ Fußballspiel im Durchschnitt 1.152 Meter mit hoher Geschwindigkeit zurückgelegt werden, waren es 2007 nur 890 Meter. Ein Anstieg von über 29 %. Auch die Anzahl der Sprints hat sich pro Spiel durchschnittlich von 26 Sprints auf 57 Sprints erhöht (ein Anstieg von über 83 %!). 

Mehr über das athletische Anforderungsprofil von Fußballer:innen und deren Veränderung kannst du hier erfahren. 

Doch warum wird der Fußball immer schneller bzw. intensiver?

Ein Grund könnte taktischer Natur sein. Viele Trainer lassen ihre Spieler hoch und aggressiv anlaufen, fordern ein schnelles und blitzartiges Umschalten nach Ballgewinn oder setzen nach einem Ballverlust (Gegenpressing) sofort nach. Die Folge – mehr zurückgelegte Meter mit hoher Geschwindigkeit. 

Die zurückgelegte Distanz mit hoher Geschwindigkeit in einem Spiel scheint ein aussagekräftiger Leistungsfaktor im Fußball zu sein. Es hat sich gezeigt, dass internationale Topklasse-Spieler 28 % mehr hochintensive Läufe und 58 % mehr Sprints durchführen als professionelle Spieler auf einem niedrigeren Niveau. Außerdem absolvieren Top-Teams um 30-40 % mehr intensive Läufe als Teams im mittleren oder hinteren Feld.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Fähigkeit wiederholende und hochintensive Belastungen ausführen zu können, entscheidend ist. Aufgrund der steigenden körperlichen Anforderungen und des wissenschaftlichen Fortschrittes im Fußball, haben sich auch die Trainingsmethoden verändert bzw. angepasst.

Die vier „konditionellen Revolutionen“

Vor 40 Jahren – in den 1980er Jahren – wurde der Fußball als reine Ausdauersportart angesehen. Anderen motorischen Fähigkeiten wie Kraft oder Schnelligkeit wurde im Training nur sehr wenig Beachtung geschenkt. Die meisten Trainer glauben, dass die Schnelligkeit ausschließlich genetisch veranlagt sei und deswegen nicht trainiert werden könne. Fähigkeiten wie Koordinationsfähigkeit oder Beweglichkeit wurden in der damaligen Zeit sowieso nicht berücksichtigt.

Erste konditionelle Revolution

In den 1990er Jahren kam es zur ersten „konditionellen Revolution“ im Fußball. Luis van Gaal, der damals für Ajax Amsterdam tätig war, legte den Fokus weg von der Ausdauer, hin zum Thema Schnelligkeit. Er erkannte, dass Schnelligkeit im Fußball eine entscheidende Rolle spielt und dass die Fähigkeit schnell zu laufen auch trainiert werden kann. Van Gaal verbot seinen Trainern daraufhin isolierte Ausdauerläufe zu machen. Ausdauer wurde unter ihm nur mehr fußballspezifisch in Spielformen trainiert. Zusätzlich wurde das Schnelligkeitstraining in das Mannschaftstraining aufgenommen. Ajax wurde dadurch in den darauffolgenden 5 Jahren zum Maß der Dinge im europäischen Fußball. Viele Trainer pilgerten nach Amsterdam, um dieses damals revolutionäre Konzept zu kopieren.

Zweite konditionelle Revolution

Der Ausgangspunkt war damals 2004 die deutsche Fußballnationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann. Klinsmann übernahm die Nationalmannschaft als Cheftrainer und nahm gleichzeitig Experten im Bereich des funktionellen Krafttrainings aus den Vereinigten Staaten mit. In den USA hatte das Krafttraining – vor allem in American Football etc. – bereits einen hohen Stellenwert. Unter der Leitung von Mark Verstegen wurde das Konzept des funktionellen Krafttrainings dann auch in Deutschland und in weiterer Folge in ganz Europa etabliert. In den Folgejahren bekamen auch Fähigkeiten wie Mobilität und Agilität immer mehr an Bedeutung. Die Folge daraus war, dass der Fußball und die Spieler Schritt für Schritt athletischer wurden. Das Problem war jedoch, dass viele leistungsrelevanten Komponenten isoliert trainiert wurden. Somit wurde viel Zeit im Kraftraum und auf der Laufbahn verbracht und das eigentliche Training bliebt dabei auf der Strecke.  

Dritte konditionelle Revolution

Ein guter Athlet ist noch lange kein guter Fußballspieler. Fußball spielen wird hauptsächlich durch das Spielen selbst trainiert bzw. verbessert. Athletische Komponenten können zwar die fußballerische Leistung am Feld positiv beeinflussen, aber das allein ändert nichts  um automatisch ein guter Fußballer zu werden. 
Und so kam es wie es kommen musste zu einer dritten „konditionellen Revolution“ – ein ganzheitlicher Trainingsansatz wurde entwickelt. Durch Vordenker wie Paco Seirul-lo, Vitor Frade oder auch Raymond Verheijen rückte das Fußballspielen wieder mehr in den Mittelpunkt, ohne dabei die athletischen Komponenten zu vernachlässigen. Leistungsrelevante Fähigkeiten sollen nach diesem Ansatz nach nicht isoliert trainiert werden, sondern als Ganzes - komplex - trainiert werden. 
Dadurch soll gewährleistet sein, dass sich die fußballerische Gesamtleistung am Feld bestmöglich entwickelt. In Folge kann die Trainingszeit viel effektiver genutzt werden, ohne dabei die Spieler zu überlasten.

Vierte konditionelle Revolution

Digitalisierung und Datenanalyse. Aus diesem Trend heraus - fast alles komplex in Spielformen zu trainieren - hat sich die vierte einschneidende Veränderung im Fußball ergeben. Es wurde für die Trainer zunehmend schwieriger die Trainingsbelastung der Spieler passend zu steuern. Es ist schwer abzuschätzen wie hoch die Belastung eines einzelnen Spielers in einer Spielform ist. Außerdem rückte auch der Aspekt der Verletzungsprävention durch eine optimale Belastungssteuerung immer mehr in den Fokus. Es werden zunehmend Daten von den Spielern erhoben und analysiert, um eine optimale Entscheidung für die Trainingsgestaltung treffen zu können. 

Die Digitalisierung und Datenanalyse machen also auch vor dem Fußball nicht halt. Durch den technologischen Fortschritt der letzten Jahre kann auch das Training in komplexen Spielformen immer besser gesteuert werden. Durch einen bestimmten Aufbau der Spielform oder durch bestimmte Regeln, können konditionelle Fähigkeiten (z.B.: Kraft, Schnelligkeit oder Ausdauer) individuell genau gesteuert bzw. entwickelt werden. Der Effekt kann durch Trackingsysteme oder andere softwaregestützte Hilfsmittel überprüft und angepasst werden.

Die Folge daraus ist, dass das Training zusätzlich optimiert bzw. professionalisiert werden kann. Die körperliche Entwicklung der Spieler wird verbessert und gleichzeitig wird das Verletzungsrisiko stark gesenkt. Außerdem wird der Arbeitsaufwand für den Trainer bzw. für den Trainerstab minimiert.
Auch der Amateurfußball profitiert von diesem Trend. In den letzten Jahren werden immer mehr hochwertige und gleichzeitig preiswerte Softwaresysteme entwickelt, die die Datenerhebung und Auswertung vollkommen automatisieren. Immer mehr Trainer trainieren deswegen dem heutigen Wissensstand entsprechend und erreichen dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten.

Hoffentlich erkennen bald alle Trainer:innen und Vereine diesen Trend und passen ihr Training dementsprechend an. Ansonsten wird es für einige Vereine in Zukunft schwierig werden. Denn wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit…

Literatur

Bangsbo J. (1991). Körperliche und metabolische Anforderungen an Training und Matchplay beim Elite-Fußballspieler.J Sports Sci. 24 (7): 665-74
Barnes C., Archer T., Hogg R., Bush M. (2014). Die Entwicklung der physischen und technischen Leistungsparameter in der englischen Premier League. International Journal of Sports Medicine 35 (13
Bangsbo J. (2014). PHYSIOLOGICAL DEMANDS OF FOOTBALL. Sports Science Exchange (2014) Vol. 27, No. 125, 1-6
Carling D, Le Gall F., Dupont G. (2012). Analysis of repeated higt-intensity running performance in professional soccer.J Sports Sci.; 30(4):325-36
Düring M. (2011). Profifußball: Wettkampfleistungsstruktur und konditionelle Leistungsvoraussetzungen. Akademische Verlagsgemeinschaft, München.
Ingebrigtsen J., M. Bendiksen M.B. Randers C. Castagna P. Krustrup und A.Holtermann (2012). Yo-Yo IR2 testing of elite and sub-elite soccer players: erformance, heart rate response and correlations to other interval tests. J.Sports Sci. 30(13):1337-1345.
Johnston R., Gabett T. (2011). Repeated-sprint and effort ability in rugby league players. Journal of Strengh and Conditioning Research 25(10): 2789-2795
Mohr M., Krustrup P., Bangsbo J. (2003). Spielleistung von Fußballspielern mit hohem Standard unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung von Müdigkeit. Journal of Sports Sciences 21 (7): 519 & ndash; 28
Stolen T., Chamari K., Castagna C., Wisloff U. (2005). Physiologie des Fußballs. Sports Medicine 35 (6): 501 & ndash; 36
Wallace J., Norton K. (2013). Entwicklung der Fußball-Fußball-Endspiele 1966-2010: Spielstruktur, Geschwindigkeit und Spielmuster. J Sci Med Sport. 2014 Mar; 17 (2): 223–8

 

Möchtest Du diesen Beitrag weiterempfehlen?

Jürgen Pranger

Geschrieben von

Jürgen Pranger

Jürgen Pranger (M.A.) ist Gründer und Geschäftsführer der Firma SportSense. Seine Ziele sind es, mit seinem Unternehmen die Performance von Fußballvereinen zu steigern und die viel zu hohe Verletzungsquote im Fußball deutlich zu senken. Seine Fachgebiete sind die Trainingssteuerung, die Verletzungsprävention, das Monitoring und die Datenanalyse, das fußballspezifische Konditionstraining und die Leistungsdiagnostik.

Möchten Sie einen Expertenbeitrag bei uns veröffentlichen? Jetzt bei uns melden

Kommentare

Vorschaubild Blended Care - Therapieerfolge in der Ergotherapie steigern

Expertenbeitrag

Blended Care - Therapieerfolge in der Ergotherapie steigern

Die moderne Ergotherapie steht vor der Herausforderung, innovative Ansätze zu integrieren, um die Effektivität der Behandlung einerseits zu steigern und andererseits die Versorgungssituation der Klienten bei weiter steigendem Bedarf zu verbessern (Canadian Institute for Health Information, 2023; McIntyre & Chow, 2020). In diesem Kontext gewinnt das Konzept des "Blended Care&a

Luana Gamerschlag

08/2024 • 4 min Lesezeit

Tennis als Gesundheitssport für Kinder – Geht das?

Expertenbeitrag

Tennis als Gesundheitssport für Kinder – Geht das?

Es gibt wenig andere Sportarten die so umfassend die motorischen Fähigkeiten schulen wie Tennis. Schnelligkeit, Beweglichkeit, Ausdauer, Kraft und die koordinativen Fähigkeiten werden durch die verschiedenen Facetten des Tennisspiels gefordert und gefördert.

Fabian Flügel

01/2024 • 5 min Lesezeit

Knochen mit Osteoporose

Osteoporose - Einflussfaktoren, Prävention und Therapie

Osteoporose ist eine der verbreitetsten Volkskrankheiten der Welt. Wir zeigen dir die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Osteoporose und welch hohen Stellenwert die Trainingstherapie auf Prävention und Therapie besitzt!

fobimarkt Redaktion

06/2023 • 4 min Lesezeit

Interessent auf der Suche nach Fortbildung

Das Such- und Buchungsverhalten von Fort- und Weiterbildungsinteressierten

Fort- und Weiterbildungen besitzen existenziellen Stellenwert, insbesondere in der Sport- und Gesundheitsbranche. Doch wie informieren sich Interessierte passende Fortbildungen? Auf welche Aspekte achten sie besonders? Welche Fachbereiche sind beliebt? Diese Fragen klären wir in diesem Artikel.

fobimarkt Redaktion

10/2021 • 3 min Lesezeit

Sportstudent:in beim Ausfüllen einer Umfrage

Arbeitsmarkt Sport: So ticken die Sportstudierenden von heute

Studierende und Auszubildende sind die Zukunft eines Landes. Sie bilden sich Tag für Tag weiter, um dann nach ein paar Jahren in einen Beruf einzusteigen und den Kreislauf der Berufswelt aufrechtzuerhalten. Eine fobimarkt-Umfrage unter Sport-Studierenden zeigt deren Ansichten zu den Themen Werdegang, Fortbildungsmarkt und zum Arbeitsmarkt Sport.

fobimarkt Redaktion

09/2021 • 5 min Lesezeit

Frau in Präventionskurs §20

Expertenbeitrag

Prävention - mehr als „nur“ Wirbelsäulengymnastik

Prävention ist so viel mehr als Wirbelsäulengymnastik. Doch wie entstauben wir das Thema Prävention? Wie sehen innovative Präventionskonzepte aus? Und welchen Einfluss hat die Pandemie dabei?

Philipp Borgböhmer

02/2021 • 3 min Lesezeit

Erstellung eines Webtextes auf Papier

Expertenbeitrag

Deine Webseite: Wer schreibt die Texte dafür?

Der Webauftritt ist etwas Persönliches und muss deinen Stil daher exakt treffen. Content für Physiotherapeut:innen ist viel mehr als schöne Optik: Denn die Webseite lebt von Text plus Bild. Die Außenwirkung deiner Webseite auf potenzielle Patient:innen ist nicht zu unterschätzen. 

Mag.a Aleksandra Walter

04/2021 • 3 min Lesezeit

Coaching Gespräch Therapeut:in Patient:in

Expertenbeitrag

Lösungsorientiertes Coaching und Therapie - Widerspruch oder sinnvolle Ergänzung?

Coaching hört und liest man gefühlt überall – erstaunlicherweise fast nie im medizinisch/therapeutischen Kontext. Dabei kann Coaching als Methode eine wichtige Ergänzung sein, die Patient:innen in ihrer Eigenständigkeit stärkt und beim Finden eigener Lösungen unterstützt.

Sara Hiebl

08/2021 • 3 min Lesezeit

Fortbildungen zum Thema "Fußball"