Die moderne Ergotherapie steht vor der Herausforderung, innovative Ansätze zu integrieren, um die Effektivität der Behandlung einerseits zu steigern und andererseits die Versorgungssituation der Klienten bei weiter steigendem Bedarf zu verbessern (Canadian Institute for Health Information, 2023; McIntyre & Chow, 2020). In diesem Kontext gewinnt das Konzept des "Blended Care" zunehmend an Bedeutung, da es die traditionelle Präsenzbehandlung mit einem strukturierten Heimtraining verbindet. Diese Kombination eröffnet neue Wege für ergotherapeutische Interventionen und führt neben nachhaltigen Therapieerfolgen zu einer verbesserten Versorgung.
Compliance - Der Schlüssel zu mehr Lebensqualität
Flexibilität und freie Gestaltungsmöglichkeiten sind zwar Vorteile gegenüber einer reinen “face-to-face”-Therapie, garantieren jedoch alleine nicht, dass Klient:innen ihre Übungen zuhause auch umsetzen. Viele Therapeut:innen kennen das Problem mit der Compliance: Mitgegebene Hausaufgaben in Papierform gehen verloren oder werden vergessen und es gibt für Therapeut:innen keine Möglichkeit zu prüfen, ob und wie häufig bestimmte Aufgaben und Trainingsübungen erledigt wurden. Eine Datenanalyse zeigt jedoch mittlerweile, dass ein positiver Effekt auf die Lebensqualität erst ab einer Compliance von rund 70% zu erwarten ist. Nur wer mitmacht, kann sich auch verbessern.
Wie Blended Care die Compliance verbessern kann
Und ab wann ist ein:e Klient:in denn nun compliant? Und wie hilft Blended Care die Compliance zu erhöhen? Der entscheidende Aspekt von Blended Care-Ansätzen liegt in der Möglichkeit zur Datenerfassung (Monitoring) durch digitale Apps und Software. Hierüber lässt sich leicht feststellen, ob und wie häufig eine bestimmte Trainings-App geöffnet wurde, ob die Übungen in einer realistischen Zeit durchgeführt worden sind, ob Klient:innen die Übungen als zu einfach oder zu schwer empfunden haben, und vieles mehr. Teilweise wird bereits sogar künstliche Intelligenz verwendet, um anhand von gesammelten Trainingsdaten Prognosen über die Compliance von Klient:innen zu treffen. Besonders hilfreich ist, wenn diese Daten auf einer digitalen Plattform für die behandelnden Therapeut:innen einsehbar sind. Klient:innen, welche z.B. in der Vergangenheit an Montagen häufiger ihre Übungen auslassen, können so von ihren Therapeut:innen zum Training motiviert werden. Hierzu können z. B. in der Software bzw. App integrierte Kommunikationslösungen (z. B. Chat Funktion) verwendet werden.
Höhere Trainingsfrequenz für nachhaltige Fortschritte
Bei einer traditionellen “face-to-face”-Therapie ist die wöchentliche Trainingsfrequenz begrenzt. Hingegen bietet der Blended Care-Ansatz die Möglichkeit, die Anzahl der Trainingseinheiten deutlich zu steigern, da Klient:innen hierbei nicht an die Örtlichkeiten der Praxis bzw. Klinik gebunden sind. Diese Flexibilität kann dazu beitragen, die Compliance der Klient:innen zu erhöhen, da sie das Training besser in ihren Alltag integrieren können. Ein intensiveres Training, das durch den Blended Care-Ansatz ermöglicht wird, führt deutlich schneller sowie nachhaltiger zu einer Verankerung der erlernten Fähigkeiten im Alltag.
Motivation maximal befeuern: Coaching plus Monitoring
Die Studienlage zeigt deutlich: werden Klienten während dem Training durch einen Coach als Ansprechpartner unterstützt, ist der Trainingserfolg nachhaltiger und die Compliance der Klienten deutlich erhöht. Bei Fragen, Durchhängern oder frustrierenden Situationen ist es für die Klient:innen wichtig, eine(n) Ansprechpartner:in zu haben. Dazu gibt es in wirksamen Blended Care-Ansätzen zwei wichtige Mechanismen: Die Messenger-Funktion und das Monitoring, um die Compliance zu unterstützen. Therapeut:innen können sehen, wie lange es von Klick zu Klick dauert oder ob es andere Hinweise gibt, weshalb der Fortschritt auf sich warten lässt oder Potenziale nicht ausgeschöpft werden. Zusammen mit den täglich in der App erlebten Erfolgen steigern regelmäßige Fortschrittskontrollen die Motivation. Sicht- und messbare Verbesserungen beflügeln die Klient:innen ebenso wie die Therapieeinheiten vor Ort.
Skalierbarkeit in der Praxis
Die Blended Care-Methode bietet die Flexibilität, mehr Therapiesitzungen anzubieten und Klienten therapeutisch anzubinden, trotz langer Wartelisten. So kann auch die Versorgungslücke zwischen Reha und ambulanter Weiterversorgung geschlossen werden, da die Klienten schon aktiv werden können, während sie auf einen regulären Therapieplatz warten. Diese Skalierbarkeit ermöglicht es, die Therapie an die individuellen Bedürfnisse der Klienten anzupassen, ohne dabei die Qualität der Behandlung zu beeinträchtigen.
Digitale Arbeit - einfacher als gedacht
Blended Care bietet Therapeut:innen eine ideale Möglichkeit für digital unterstütztes Arbeiten mit den Klient:innen. Wer sich das digitale Arbeiten erleichtern möchte, sollte bei der Anwendung von Blended Care Anbietern auf folgende Punkte achten: Intuitive Benutzeroberfläche, automatische Auswertungen und Visualisierung von Ergebnissen sowie die Bereitstellung eines zuverlässigen Helpdesks des Anbieters - damit Du die Hilfe dann bekommst, wenn Du sie auch brauchst.
Fazit
Die Integration von Blended Care in die Ergotherapie eröffnet neue Horizonte für eine effektivere und flexiblere Behandlung sowie eine zukunftsorientierte Versorgung. Die Kombination von Training zuhause und in der Praxis bietet nicht nur mehr Wiederholungen und eine ritualisierte Struktur, sondern ermöglicht auch eine individualisierte und skalierbare Therapie, die die Qualität der Versorgung aufrechterhält. Therapeut:innen können durch diesen innovativen Ansatz die Lebensqualität ihrer Klient:innen nachhaltig verbessern. Zudem bietet Blended Care eine ideale Ergänzung in der Klientenversorgung. Die digitale Unterstützung und flexible Gestaltung sind nicht zuletzt auch wirtschaftlich für Praxen interessant.
Quellen
• Canadian Institute for Health Information. Commonwealth Fund survey, 2023. Accessed April 9, 2024.
• McIntyre, D., & Chow, C. K. (2020). Waiting time as an indicator for health services under strain: A Narrative review. Inquiry, 57, 004695802091030. https://doi.org/10.1177/0046958020910305